Profile der 1970er Jahre

Ein Themenportal des Seminars für Zeitgeschichte Tübingen

Die siebziger Jahre - Seite 2 und Literatur

Wir beleuchten die scheinbare oder tatsächliche Widersprüchlichkeit der Zeit aus verschiedenen Gesichtswinkeln. Bestimmte Themen konnten wir nicht mit einbeziehen. Das hatte zeitliche und organisatorische Gründe. Der zeitliche Rahmen angesichts der Ereignisse und Veränderungen eines gesamten Jahrzehnts sowie die Schwerpunktsetzung des Seminars auf die wirtschaftlichen und politischen Veränderungen einerseits, auf den soziokulturellen Wertewandel andererseits schränkte die Spannweite der Themen ein. Es ist uns bewusst, dass einige für das Verständnis dieses Jahrzehnts grundlegende Themen hier nicht behandelt werden. Die Arbeitsmigration des Nachkriegsbooms, der Zuzug der Gastarbeiter, der Anwerbestopp und der Nachzug der Familien, vor allem aber die unterbliebene Integration der ausländischen Arbeitskräfte sind hier zu nennen. Wir haben dies ausgespart, weil es den Stoff für ein weiteres volles Semesterprogramm enthält und unter den heutigen Herausforderungen von Migration und kultureller Integration zu wichtig ist, um nur kurz behandelt zu werden. Ziel des Seminar wie des Portals ist es vielmehr, Schlaglichter auf bestimmte Themenbereiche zu werfen und den Studenten sowie den Lesern ihrer Texte die Herausforderung einer geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der jüngsten Zeitgeschichte nahe zu bringen. Wir hoffen, auf diesem Wege die Auseinandersetzung mit dem Thema zu fördern.

Die Beiträge haben die Form des Essays, die wir im Seminar wöchentlich trainiert haben. Als Essay sind die Texte wissenschaftlich fundiert, lesbar geschrieben und von der Absicht getragen, eigene Thesen zur Diskussion zu stellen. Auf Fußnoten wurde verzichtet, weiterführende Literaturangaben finden sich am Ende eines jeden Textes.

Profile der Siebziger Jahre

Die "Profile der siebziger Jahre", die wir als Ergebnis einer intensiven, anregenden, lebhaften und durchaus kontroversen Zusammenarbeit gestaltet haben, gruppieren sich um das internationale Geschehen auf der Ebene von Staaten und Regierungen - Entspannung, Sicherheit, beginnende Globalisierung der Wirtschaft [Text: Wirtschaft in den 1970ern] [Text: Grenzen des Wachstums]. Dann geht es um den staatlichen Umgang mit den Herausforderungen der Zeit, sei es das Scheitern politischer Planung [Text: Unregierbarkeitsdebatte], seien es staatliche Reaktionen der Inneren Sicherheit auf die Konfrontation mit Terrorismus [Text: Innere Sicherheit]. Terrorismus wurde in den 1970er Jahren erstmalig ein bedeutendes Phänomen der bundesdeutschen Gesellschaft. Die Geiselnahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen während der Olympiade in München 1972 zeigte Gefahren des internationalen Terrorismus auf. Wie man nur wenige Jahre später an den Flugzeugentführungen erkannte, die unter den Stichworten "Entebbe" und "Landshut" bekannt wurden, war die bundesdeutsche terroristische Szene international bestens vernetzt [Text: Attentat von München]. Dass besonders die RAF trotz des offensichtlich rücksichtlosen Vorgehens beträchtliche Sympathie vor allem in linken intellektuellen Kreisen (nicht nur in Deutschland) genoss, zählt zu den widerspruchsvollen Kennzeichen dieses Jahrzehnts [Text: RAF-Sympathisanten].

Aktuelle Diskussionen über die 1970er Jahre verwischen oft die Grenzen zu "1968", setzen die Akteure der Siebziger mit den so genannten "68ern" gleich. Diesem Mangel an Differenzierung soll eine genauere Betrachtung der "68er", ihrer Werte und Handlungen, sowie ihrem Einfluss auf das nachfolgende Jahrzehnt entgegenstellt werden [Text: Generation 68]. Wandel von Wertorientierungen erkennen wir auch unter dem Gesichtspunkt der Geschlechterbeziehungen, des Familienideals und der Bedeutung des Feminismus, als "Emma" noch neu und Alice Schwarzer noch jung waren. Wenn Frau Schwarzer heute darüber nachdenkt, welche Bedeutung die Kanzlerschaft von Angela Merkel für die deutsche Gesellschaft hat oder gewinnen könnte, wird die lange Wegstrecke sichtbar, die vom ideologischen Feminismus der Anfangszeit bis in unsere Gegenwart geführt hat [Text: Frauenbewegung].

Wertorientierung, Wirtschaft und Wissen - das ist das Dreieck, innerhalb dessen sich die Bildungsreform vollzog, um der Wirtschaft mehr und besser qualifizierte Arbeitskräfte zuzuführen. Bildung wurde vom Privileg des bürgerlichen Milieus zum Anspruch der egalitären Gesellschaft im modernen Industriesystem, und das ging einher mit einem verbissenen politisch-ideologischen Kampf um den bürgerlichen Bildungskanon in den Schulen und Hochschulen, der sich bis an die Schwelle der Gegenwart im Streit um die Rechtschreibreform noch fortgesetzt hat [Text Tietze]. Gesellschaftliches Selbstverständnis und Lebensqualität waren nicht nur an den Bildungsstandard, sondern auch an die Art der Beschäftigung, an die Möglichkeiten und Formen des Reisens und Konsumierens gebunden, aber sie flossen auch in der Erkenntnis über die Grenzen von Wachstum und im erwachenden Umweltbewusstsein zusammen [Text: Wirtschaft in den 1970ern] [Text: Grenzen des Wachstums].

Darin zeigte sich, dass die Gewißheiten aus der Zeit des Wirtschaftsaufschwungs jetzt, nach dem Boom, neue Fragen aufwarfen, dass sie in der Tat frag-würdig geworden waren.

Literatur

  • Archiv für Sozialgeschichte 44 (2004) mit Beiträgen zum Rahmenthema "Die Siebziger Jahre. Gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland".
  • Anselm Doering-Manteuffel, Nach dem Boom. Brüche und Kontinuitäten der Industriemoderne seit 1970, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007).
  • Andreas Rödder, Die Bundesrepublik Deutschland 1969-1990, München 2004.
  • Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium 1982-1990, München 2006.

    << Vorige Seite <<