Jahrzehnt des historischen Widerspruchs
Anfänge und Struktur der Frauenbewegung
Stefan Sasse, Manuela Thoma
Die Anfänge der Frauenemanzipation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts können in die 1970er Jahre datiert werden. In Wirklichkeit war sie zwar nur eine von drei großen Wellen - nach der Beginen-Bewegung im 12. und 13. Jahrhundert und der Französischen Revolution um 1800 -, doch aus heutiger Sicht erscheint sie gleichwohl als "die" Frauenemanzipation. Die moderne Frauenemanzipation lässt sich wiederum in drei "Wellen" aufteilen, deren erste durch die Suffragetten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, die zweite in den 1960er und 1970er Jahren und die letzte im Zeitraum seit den 1990er Jahren verortet werden kann. Diese Klassifizierungen sind jedoch ganz willkürlich gezogene Grenzlinien innerhalb einer lebendigen und in zahlreiche Unterströmungen diversifizierenden Bewegung.
Ausgehend von Frankreich - verwiesen sei nur auf Simone de Beauvoir - traten die Ideen der Frauenemanzipation einen allmählichen Siegeszug an. Der große Befreiungsschlag folgte mit Betty Friedans "The feminine mystique" von 1963, in der deutschen Übersetzung von 1966 betitelt als "Der Weiblichkeitswahn". Dieses Buch fand in der aufkommenden Studentenbewegung schnell großen Anklang. Friedan thematisierte darin den großen Einfluss der Konsum- und Werbeindustrie auf das Frauenbild und gleichermaßen auf das Selbstbild der Frauen. So verwies sie zum Beispiel auf die große (und völlig überflüssige) Anzahl an Putzmitteln, die aber der Werbung ein Forum gaben, um die Unterwerfung unter eine hierarchische Familienstruktur mit der Funktion der Frau als dienender Hausfrau und Mutter als kulturelle Norm zu propagieren.
Die Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre im Überblick
Die Frauenbewegung dieser Zeit entwickelte sich vorrangig aus französischen Einflüssen. Zentrale Forderungen umfassten die rechtliche Gleichstellung in Beruf und Politik (besonders im Gebiet zu erreichenden Berufsfelder und der Verfügungsgewalt über Eigentum), aber auch ein Umdenken in Geschlechterrollen (Gender-Theorie). Verstärkt wurde die Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre von der Studentenbewegung, innerhalb derer sie sich entfaltete, mit der sie jedoch häufig nicht übereinstimmte. Besonders der - angebliche, aber doch wohl tatsächliche - "patriarchalische" Charakter der männlichen Protagonisten in der Achtundsechziger-Bewegung wurde von Feministinnen häufig mit scharfer Kritik herausgestellt.
Volle Medienaufmerksamkeit erhielten die Feministinnen durch die Teilnahme an neuartigen Protestformen der Studentenbewegung, dem Abhalten von Seminaren und ähnlichen Veranstaltungen um ein "kritisches Bewusstsein" zu wecken. Nicht zuletzt wurden spektakuläre Aktionen inszeniert, wie die öffentliche Erklärung von 343 mitunter sehr prominenten französischen Frauen im "Observateur": "Je me suis fait avorter" (Ich habe abgetrieben). Diese Aktion richtete sich gegen das Verbot der Abtreibung und forderte das Recht auf Abtreibung für jede Frau. 1971 griff Alice Schwarzer das Thema auf, der "Stern" bot die Plattform, und wiederum beteiligten sich prominente Frauen daran. Zwar räumten viele von ihnen später ein, gar nicht schwanger gewesen zu sein und abgetrieben zu haben (etwa Alice Schwarzer selbst), aber am Erfolg und der Entstehung eines regelrechten Mythos, der sich alsbald um diese Provokation des zeitgenössischen Moralkodex in den Nachkriegsgesellschaften entspann, hat das nichts geändert.
In den späten 1970er Jahren diversifizierte sich der Feminismus dann in zahlreiche Splittergruppen und büßte viel von seiner Schlagkraft ein. Vermutlich muss dies im Kontext der 1968er Bewegung gesehen werden, der ein ähnliches Schicksal beschieden war. In beiden Bewegungen kamen die Aktivisten am Ende in eben jenem Milieu, dem "Establishment", an, das sie zuvor erbittert bekämpft hatten. Erst in den 1990er Jahren sollte es dann zu einer Renaissance des Feminismus kommen.