Innere Sicherheit - Seite 4 und Literatur
Die Reformen und Umstrukturierungen liefen keineswegs reibungslos ab, Kompetenzrangeleien innerhalb und zwischen den Behörden gehörten zum Alltag. Der Wandlungsprozess war eng mit den Entwicklungen der Gesellschaft und der politischen Landschaft der Bundesrepublik verknüpft. Das Grundproblem war der Übergang von einer bekannten zu einer unbekannten, diffusen Bedrohung. Die Behörden vermochten nicht mehr klar zu erkennen, wem zu trauen war, wem nicht und wie weit "Vertrauen" eigentlich reichen durfte bzw. konnte. So baute das BKA in den 70er Jahren massiv die Möglichkeiten zur Überwachung und Kontrolle bis an die Grenze des verfassungsmäßig Erlaubten aus. Das setzte sich auch bei der Polizei fort. So wähnten sich die Beamten nicht selten im realen Kriegszustand. Das entsprach zwar der Intention der RAF-Aktivisten, doch keinesfalls der Wirklichkeit. Denn selbst im "Deutschen Herbst" bedrohte der Terrorismus nicht die staatliche Verfassung, und er konnte auch keine ernstzunehmende Zahl an Unterstützern hinter sich sammeln.
Die Legislative zeigte sich bis 1972 recht unbeeindruckt: Das Vertrauen in die existierenden rechtlichen Möglichkeiten war groß genug, die Verfechter eines weiteren Ausbaus der "Inneren Sicherheit" setzten auf die üblichen Mittel der Kriminalitätsverfolgung und konnten sich darin, wie bei den Festnahmen von Baader, Meins und Ensslin 1972, auf die Unterstützung der Bevölkerung verlassen. Als sich allerdings nach der Festnahme des inneren Kerns der RAF die Anschläge fortsetzten und die Verfolgung der Terroristen immer mühseliger wurde, gab es auch Reaktionen des Gesetzgebers. Nach der Festnahme der RAF-Protagonisten wurde der Straftatbestandes der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" (StGB 129a) eingeführt, Änderungen der Strafprozessordnung vorgenommen und anwaltlichen Rechte eingeschränkt, um die Prozesse in Stammheim in den Griff zu bekommen. Proteste aus der Sympathisanten-Szene gegen die Gesetze und Verordnungen brachten der noch in Freiheit befindlichen Rumpf-RAF die personelle und ideologische Unterstützung, die sie für die Fortführung ihrer Aktivitäten benötigte.
Hinzu kam, dass sich bei den Sicherheitsbehörden und den Innen-, Justiz- und Verteidigungsministerien militärisches Denken durchsetzte. Den "Kleinen" und "Großen Krisenstab" während der Schleyer-Entführung 1977 beherrschten Männerbund-Strukturen und Denkweisen, die in militärisch-taktischen Kategorien. So nahm der Staat gewissermaßen die Kriegserklärung der RAF an, teils aus Verunsicherung durch eine ungewohnte Form politischer Gewalt, teils um politischem Ansehensverlust entgegenzuwirken, teils um eine Identifikationsbasis für die Gesellschaft zu schaffen. Die RAF ihrerseits sah sich durch die steigende Repression bestätigt und konnte sich intern konsolidieren. Die Rote Armee Fraktion wurde für einzelne junge Akademiker zu einer Identifikationsbasis, die mit klaren Strukturen lockte und den Anschein vermittelte, mehr tun zu können als nur zu reden.
Wichtig ist, dass es sich bei der Terror-Problematik der 70er Jahre nicht um einen binären Konflikt handelte. Die Öffentlichkeit verfolgte als dritter im Bunde den Konflikt und war zugleich Adressat vieler Aktionen der einen wie der anderen Seite. So wusste die Regierung ab einem gewissen Punkt, dass Straßensperren und Hubschrauberflüge wohl kaum zur Festnahme von Terroristen führten. Sie dienten aber als Demonstrationen staatlicher Gewalt und gaben dem Volk das Gefühl von Schutz durch den Staat. Die Medien waren aus dem Konflikt nicht wegzudenken. Sie boten eine Plattform für RAF-Pamphlete, für die Bilder und die Gesichter des Terrors, aber auch für Sicherheitsexperten, Innenpolitiker und die Polizei. Bisweilen wurden die Medien selbst zum Akteur. Nicht nur die bisweilen hetzerische Bild-Zeitung, sondern auch angesehene Journalisten äußerten sich tendenziös, zumal dann, wenn es um die Diskussion über "Isolationshaft" oder um die Verschwörungstheorien nach der Nacht von Stammheim ging.