Unregierbarkeitsdebatte - Seite 3 und Literatur
Schlussbemerkung
Die Debatte um den Staat und seine Handlungsfähigkeit kann und muss vor dem Hintergrund der politisch und sozialphilosophisch linken Positionen in der Gesellschaft der 1970er Jahre gelesen werden. Ausgehend von Gabriele Metzlers Studie über die Konzeptionen des politischen Handelns von Adenauer bis Brandt kann die Unregierbarkeitsdebatte jedoch auch als ein Phänomen gesehen werden, in welchem "weitaus tiefgreifendere Veränderungsprozesse zum Ausdruck kamen". So mag die Debatte als Spiegel dienen, um verschiedene Problemzusammenhänge jener Zeit sichtbar zu machen. Tatsächlich greift die Unregierbarkeitsdebatte in ihren Ursachen und Wirkungen nahezu alle Probleme der 1970er Jahre auf, deren Genese bereits in den 1960ern anzusetzen ist. Das Konzept der Planung und Globalsteuerung aus den 1960ern scheiterte schon vor der Ölpreiskrise von 1973. Den Zeitgenossen mochte das wie ein Versagen des Staates erscheinen. Hinzu kamen die wirtschaftliche Stagnation und ihre Auswirkungen. Überspitzt formuliert: mit stetigem Aufschwung und wirtschaftlicher Prosperität vollzog sich ein gesellschaftlicher Wandel, der kontinuierlichen Fortschritt, Wohlstand und die Ausweitung des Konsums als Lebensform für verbürgt annehmen wollte. Zugleich änderten sich die Herausforderungen an den Staat und das traditionelle deutsche Verständnis vom Staat als einer der Gesellschaft vorgeordneten Instanz. "Staat" wurde mehr und mehr, dem anglo-atlantischen Modell entsprechend, als "government" betrachtet, und gut zu regieren, war die Aufgabe nicht nur eines jeden Kabinetts, sondern auch der öffentlichen Verwaltung.
Eng verknüpft mit diesem Wandel war die Reflexion über den Demokratiebegriff, der in Deutschland schon immer problematisch war: In den Wirren der Weimarer Zeit, durch den Einfluss der amerikanischen Demokratie und die Emanzipation eines deutschen Demokratieverständnisses sowie dessen erste Infragestellungen im Zuge der "Studentenrevolte". Der Konkurrenzkampf um Wählerstimmen zwischen Opposition und Regierung kann, mit gewisser Vorsicht, auch psychologisch erklärt werden. Denn der Machtwechsel zu einer sozialliberalen Regierung hat die machtgewohnten CDU-Politiker sicher verwundet. Ebenso wird eine Partei, die nach etlichen Jahren Regierungsabstinenz an der Macht ist, diese auch mit allen Mitteln verteidigen.
Wo stehen wir heute im Jahr 2007? Politikverdrossenheit, niedrige Wahlbeteiligung als Symptome derselben Krankheit und der exorbitante Wettbewerb zwischen den Parteien um Wählerstimmen sind mittlerweile kein Einzelphänomen mehr, sondern die Norm. Eigentlich haben sich die Grundvorrausetzungen nicht geändert; vielleicht fehlt nur der historische Abstand, um dies zu beurteilen.